Der Vorkaufsfall ist grundlegende Voraussetzung für die Geltendmachung des Vorkaufsrechts.
Nicht jedes Rechtsgeschäft stellt ein Vorkaufsfall dar. – Das Vorkaufsrecht soll nur geltend gemacht werden können, wenn es ein Verkauf bildet oder wirtschaftlich einem Verkauf entspricht.
Ein Vorkaufsfall ist gegeben, wenn kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- Freiwilligkeit Veräusserungsgeschäftes
- Kaufvertrag [vgl. OR 184]
- Kaufvorvertrag [vgl. OR 216 Abs. 2, a.Mg. BGE 85 II 578]
- Kaufrechtsvorvertrag [vgl. OR 216 Abs. 2], wobei umstritten ist, ob Abschluss oder Ausübung den Vorkaufsfall begründen [vgl. BGE 85 II 577 f.]
- Freiwillige private Versteigerung [vgl. OR 229 f.]
- Freiwillige öffentliche Versteigerung [vgl. OR 229 f.]
- Hingabe an Zahlungsstatt
- Eigentumsübertragung als Singularsukzession
- Eigentumsübertragung entgeltlich
- Relevanz der Geldleistung und nicht der Person des Erwerbers
- Eigentumsübertragung als Erfüllungsgegenstand
- Rechtsgültiger Vertrag mit dem Dritten
E contrario liegt in folgenden Fällen kein Vorkaufsfall vor:
- Keine Freiwilligkeit des Veräusserungsgeschäfts
- Enteignung oder enteignungsähnliches Rechtsgeschäft
- Erwerb zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben
- Zwangsvollstreckung
- Versteigerung
- Freihandverkauf
- Vgl. BGE 85 II 577 f.
- Keine singularsukzessorische Eigentumsübertragung
- Erbgang
- Universalsukzession (Fusion, Spaltung, Vermögensübertragung usw.)
- Keine entgeltliche Eigentumsübertragung
- Schenkung [vgl. BGE 70 II 151]
- Tausch [vgl. BGE 70 II 151]
- Ehegüterrechtliches Rechtsgeschäft
- Erbvorbezug
- Erbteilung
- Relevanz der Geldleistung und nicht der Person des Erwerbers
- Leibrentenvertrag [vgl. OR 516 ff.]
- Verpfründungsvertrag [vgl. OR 521 ff.]
- Sacheinlage in Gesellschaft (Illationsvertrag) [vgl. BGE 92 II 167]
- Keine Eigentumsübertragung als Erfüllungsgegenstand
- Einräumung bloss eines beschränkt dinglichen Rechts [vgl. BGE 82 II 378 ff.]
- Begründung eines (selbständigen und dauernden) Baurechts
- Verabredung eines obligatorischen Gebrauchsrechts (zB Gebrauchsleihe, prekaristisches Rechtsverhältnis [auf Zusehen hin])
- Kein rechtsgültiger Vertrag mit dem Dritten
- Formungültigkeit [vgl. ZGB 657, OR 216]
- Anfechtbarkeit des Vorkaufsrechts
- Rechtskräftige Anfechtung des Kaufvertrages binnen Jahresfrist [vgl. OR 21 Abs. 2, OR 31 Abs. 2] durch den Vorkaufsverpflichteten (Verkäufer) oder den Dritterwerber (Käufer)
- Nichtigkeit des Vertrages mit dem Dritten
- Widerrechtlichkeit des Vertragsinhalts [vgl. OR 20, ZGB 27]
- Unsittlichkeit des Vertragsinhalts [vgl. OR 20, ZGB 27]
Weiterführende Literatur
- MEIER-HAYOZ ARTHUR, Berner Kommentar, 1975, N 1 ff. zu Art. 681 ZGB
- REY HEINZ / STREBEL, Basler Kommentar, 6. Aufl. 2019, N 1 ff. zu Art. 682 ZGB
- GHANDCHI LILIAN, Das gesetzliche Vorkaufsrecht im Baurechtsverhältnis, 1999, S. 168 ff., S. 170
- SUTTER-SOMM THOMAS, Eigentum und Besitz, SPR V/1, 2. Aufl. 2014, Rz. 720 S. 346
Weiterführende Judikatur
- BGer 5A_127/2019 vom 04.05.2020 (ein gesetzliches Vorkaufsrecht nach ZGB 681 Abs. 2 kann nur entfallen, wenn das gleich- oder vorrangige Vorkaufsrecht im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits besteht)
Weiterführende Links
- Vorkaufsrechte in verschiedenen Konstellationen | law-news.ch
- Ausübung des Vorkaufsrechts | vorkaufsrecht.ch